Belastungs- und Beanspruchungsmodell
Belastungen am Arbeits- und Ausbildungsplatz – ob physisch oder psychisch – sind ein normales Phänomen und machen nicht zwangsläufig krank. Die Belastungen treffen aber auf Personen, die sich hinsichtlich ihrer individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten, ihres Gesundheitszustands und ihrer Bewältigungsstrategien stark unterscheiden. Die individuelle Ausprägung der genannten Faktoren entscheiden in Kombination mit der Höhe der Belastung darüber, ob diese als (gesund erhaltende) Herausforderung oder aber als (krank machende) Überbeanspruchung angesehen werden
Da die Begriffe oft umgangssprachlich anders verwendet werden, soll hier der Mechanismus von Belastung, Beanspruchung und Beanspruchungsfolgen am Beispiel der psychischen Belastungen ausführlicher erläutert werden.
Belastung
Unter Belastung versteht man die "Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken."
Psychische Belastungen können sich z.B. ergeben aus:
Arbeitsinhalt/Arbeitsaufgabe
Vollständigkeit der Aufgabe (nur vorbereitende, nur ausführende oder nur kontrollierende Handlungen),
Handlungsspielräume (kein Einfluss auf Arbeitsinhalt, -pensum, -verfahren, Abwechslungsreichtum der Aufgabe häufige Wiederholung gleichartiger Handlungen in kurzen Takten),
Informationsangebote (zu viele oder zu geringe Reize, Reize ungünstig dargeboten oder lückenhaft),
Verantwortung (unklare Kompetenzen oder Verantwortlichkeiten),
Qualifikation (Tätigkeiten entsprechen nicht Qualifikation, unzureichende Einweisung)
oder der emotionalen Inanspruchnahme (Konfrontation mit Tod, Krankheit oder Gewalt, ständiges Eingehen auf Bedürfnisse Anderer permanentes Zeigen von geforderten Emotionen – unabhängig von eigenem Empfinden).
- Arbeitsumgebung (physikalisch, sozial)
Physikalische und chemische Faktoren (Lärm, schlechte Beleuchtung, Gefahrstoffe, ungünstige ergonomische Gestaltung, schwere körperliche Arbeit).
physische Faktoren (ungünstige ergonomische Gestaltung, schwere körperliche Arbeit),
Arbeitsplatz- und Informationsgestaltung (ungünstige ergonomische Gestaltung, schwere körperliche Arbeit),
Arbeitsmittel (fehlendes Werkzeug, ungünstige Bedienung von Maschinen und Software).
Arbeitsorganisation / Arbeitsablauf
Arbeitszeit (wechselnde oder zu lange Arbeitszeit, ungünstig gestaltete Schichtarbeit, Nachtarbeit, umfangreiche Überstunden, unzureichende Pausen, Arbeit auf Abruf),
Arbeitsablauf (Zeitdruck, hohe Arbeitsintensität, häufige Störungen und Unterbrechungen, hohe Taktbindung),
Kommunikation und Kooperation (isolierte Einzelarbeitsplätze, Verantwortung unklar, keine soziale Unterstützung durch Vorgesetzte und Kollegen).
- Soziale Beziehungen
Kollegen (zu geringe oder zu hohe Zahl sozialer Kontakte, häufige Streitigkeiten und Konflikte, Sozialer Druck, fehlende soziale Unterstützung) und
Vorgesetzte.(keine Qualifizierung als Führungskraft, fehlendes FeedbachFeedback und fehlende Anerkennung der erbrachten Leistung, fehlende Führung, ggf. fehlende Unterstützung
- Neue Arbeitsformen
(Räumliche Mobilität, atypische Arbeitsverhältnisse, diskontinuierliche Berufsverläufe, zeitliche Flexibilisierung, reduzierte Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben).
Die Belastungen unterscheiden sich nach Dauer, Stärke und Verlauf. Zu den oben erwähnten beruflichen Belastungen können noch private Belastungen kommen.
Individuelle Voraussetzungen des Menschen
Die Belastungen treffen auf Menschen, die sich in bestimmten Voraussetzungen voneinander unterscheiden:
Psychische Voraussetzungen wie:
- Fähigkeiten
- Fertigkeiten
- Erfahrungen
- Kenntnisse
- Anspruchsniveau, Motivation
- Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten
- Einstellungen
Bewältigungsstrategien
Andere Voraussetzungen wie:
- Gesundheit
- Alter
- Geschlecht
- Körperliche Konstitution
- Ernährung
- Allgemeinzustand
- Aktuelle Verfassung
Ausgangslage der Aktivierung
Den Menschen ist es auf Grund ihrer individuellen Voraussetzungen möglich, in unterschiedlicher Form mit den Belastungen fertig zu werden. Die daraus resultierenden Auswirkungen nennt man
(Psychische) Beanspruchung
Beanspruchung wird definiert als "unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien."
Kurzfristige Beanspruchung kann zu positiven oder negativen Folgen führen. Positive Folgen sind zu erwarten, wenn die Höhe der Belastung den weit gehend Voraussetzungen entspricht. Bei starken Diskrepanzen (Belastungen zu hoch oder zu gering) sind eher negative Folgen zu erwarten.
Positive kurzfristige Folgen: Anregung (Aufwärmung, Aktivierung)
Negative kurzfristige Folgen: Beeinträchtigung (Ermüdung; ermüdungsähnliche Zustände wie Monotonie, herabgesetzte Wachsamkeit oder Sättigung; Stress)
Dauern die Beanspruchungen an, können (wiederum positive oder negative) langfristige Folgen entstehen:
Langfristige positive Folgen:
- Übung,
- Weiterentwicklung körperlicher und geistiger Fähigkeiten,
- Wohlbefinden,
Gesunderhaltung,
Langfristige negative Folgen:
- allgemeine psychosomatische Störungen und Erkrankungen (u.a. Verdauungsbeschwerden, Herzbeschwerden, Kopfschmerzen),
- Ausgebranntsein (Burnout),
Fehlzeiten, Fluktuation, Frühverrentung.
Text: Dr. Torsten Kunz
Handlungsmöglichkeiten:
Das können Sie konkret tun
Negative Beanspruchungen und ihre Folgen sind vermeidbar, wenn sich Belastungen und individuelle Voraussetzungen der Beschäftigten weitgehend entsprechen. Liegt hier eine Disbalance vor, gibt es zwei Möglichkeiten, diese zu beseitigen:
Optimierung der Belastung
Eine Optimierung der Belastung bedeutet nicht zwangsläufig, diese komplett zu beseitigen. Es sollte aber angestrebt werden, diese so zu verändern, dass sich der arbeitende Mensch auch dauerhaft nicht beansprucht (weder über- noch unterfordert) fühlt.
Stärkung der persönlichen Ressourcen
Lassen sich die Belastungen nicht optimieren, ist eine Reduktion der Beanspruchung auch durch die Erhöhung der persönlichen Ressourcen der Betroffenen möglich. So kann beispielsweise die soziale Unterstützung durch Kollegen, Vorgesetzte und auch Familie bestehende Belastungen reduzieren oder eine Verbesserung des Gesundheitszustandes den Betroffenen widerstandsfähiger gegen Belastungen machen.