Empfehlungen zur Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungsbeurteilung

Die seit 2014 in der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) entwickelten „Empfehlungen zur Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungsbeurteilung“ sind eine anerkannte Referenz für die betriebliche Arbeitsschutzpraxis. Seit August 2022 liegen sie in vollständig überarbeiteter Neuauflage vor.

In der nunmehr veröffentlichten vierten Auflage werden Gestaltungsziele zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung ins Zentrum der Empfehlungen gerückt.

Berücksichtigt wurden dabei:

  • bestehende Vorschriften und Regeln des Arbeitsschutzes
  • aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse, wie sie u.a. in der „Wissenschaftlichen Standortbestimmung Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) aufbereitet wurden.

Überarbeitungen wurden weiterhin mit dem Ziel vorgenommen, einheitliche Begriffe und Anforderungen an die Gefährdungsbeurteilung zu verwenden, wie sie u.a. in der GDA-Leitlinie „Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation“ definiert sind. Der Anhang wurde um Hinweise auf Normen und Gestaltungsempfehlungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung und BAuA erweitert.

Für Betriebe und betriebliche Arbeitsschutzakteure steht damit eine verbesserte Handlungshilfe zur Orientierung in der Praxis zur Verfügung.

Hintergrund, Zweck und Adressaten der Empfehlungen

Arbeitgeber sind durch das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, die Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst geringgehalten wird (§ 4 ArbSchG).

Hierzu hat er durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich und umzusetzen sind (§ 5 ArbSchG). Dabei sind auch Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit zu berücksichtigen (§ 5 (3) ArbSchG).

Die Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungsbeurteilung ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung:

  1. Je nach Art, Intensität und Dauer kann psychische Belastung bei der Arbeit gesundheitsbeeinträchtigende Folgen haben, zum Beispiel bei unzureichenden Tätigkeitsspielräumen, bei Missverhältnissen von Arbeitsmenge und -zeit, bei destruktivem Führungsverhalten oder bei überlangen Arbeitszeiten. Daher ist es erforderlich, in der Gefährdungsbeurteilung auch die Gefährdung durch psychische Belastung zu ermitteln und soweit als möglich zu minimieren.
  2. Die psychische Belastung bei der Arbeit kann aber auch die Gefährdung z. B. bei der Verwendung von Arbeitsmitteln oder bei Tätigkeiten mit Biostoffen erhöhen. So ist bspw. bei der Tätigkeit mit biologischen Arbeitsstoffen von einer erhöhten Gefährdung auszugehen, wenn unter Zeit- und Leistungsdruck gearbeitet werden muss und/oder die Arbeit häufig unterbrochen und gestört wird. Daher wird in der Biostoffverordnung explizit gefordert, bei der Gefährdungsbeurteilung der Tätigkeit mit Biostoffen auch „Belastungs- und Expositionssituationen, einschließlich psychischer Belastung“ (§ 4 BioStoffV) zu berücksichtigen.

Die vorliegende Broschüre beinhaltet Empfehlungen zu konkreten Inhalten, Zielen und Vorgehensweisen bei der Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungsbeurteilung.

Die Empfehlungen richten sich insbesondere an Betriebe und betriebliche Arbeitsschutzakteure (u. a. Arbeitgeber, Betriebs-/Personalräte/innen, Betriebsärzte/innen, Betriebsärzte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit). Sie sollen Orientierung darüber geben, wie die psychische Belastung bei der Arbeit angemessen in der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt werden kann.

Die Empfehlungen sind im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) entstanden. In der GDA legen Bund, Länder und Unfallversicherungsträger unter Mitwirkung der Sozialpartner gemeinsame Handlungsfelder fest und setzen diese in bundesweiten Arbeitsprogrammen gemeinsam um. Ergänzend zu den bestehenden GDA-Leitlinien* sind die vorliegenden Empfehlungen daher auch eine Richtschnur für die Beratungs- und Überwachungstätigkeiten der Aufsichtsdienste der Länder und Unfallversicherungsträger.

* Anders als die vorliegenden Empfehlungen richten sich die GDA-Leitlinien nicht an die Betriebe, sondern an die Aufsichtsdienste. Mit den GDA-Leitlinien soll gewährleistet werden, dass die konkreten Überwachungs- und Beratungskonzepte der Länder und Unfallversicherungsträger inhaltlich gleichgerichtet und gleichwertig ausgestaltet sind. Download unter: www.gda-portal.de/de/Betreuung/Betreuung.html

Begriffsbestimmungen

Psychische Belastung

Psychische Belastung ist die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und diesen psychisch beeinflussen** . Psychische Belastung bei der Arbeit umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher psychisch bedeutsamer Arbeitsanforderungen und -bedingungen, etwa Anforderungen an die Arbeitsintensität, die soziale Unterstützung am Arbeitsplatz oder die Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit. Eine Arbeit ohne psychische Belastung ist genauso wenig denkbar und wünschenswert wie eine Arbeit ohne jede körperliche Belastung. Psychische Belastung ist daher wertneutral zu verstehen. Sie kann anregend und aktivierend wirken sowie Lernprozesse und Kompetenzentwicklung der Beschäftigten befördern. Je nach Art, Intensität und Dauer sowie in Abhängigkeit der persönlichen Voraussetzungen der Beschäftigten kann sie aber auch zu Ermüdung, Monotonieerleben, herabgesetzter Wachsamkeit, psychischer Sättigung oder Stress führen und langfristig gesundheitsbeeinträchtigende Wirkungen haben. Daher ist es erforderlich, auch Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit in der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen.

** DIN EN ISO 10075-1:2017

Psychische Belastung

Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und diesen psychisch beeinflussen

Einflüsse aus der Arbeit

    • Arbeitsaufgabe
    • Arbeitsorganisation
    • Arbeitszeit
    • Soziale Beziehungen
    • Arbeitsmittel
    • Arbeitsumgebung

Trifft auf

Individuelle Voraussetzungen des Menschen

Psychische Voraussetzungen, wie Fähigkeiten, Kenntnisse, Erfahrungen Andere Voraussetzungen, wie Gesundheit, Alter, aktuelle Verfassung

Und führt zu

Psychischer Beanspruchung

Unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum (zeigt sich in unmittelbaren körperlichen und psychischen Veränderungen)

Kurz-/mittelfristige Folgen der Beanspruchung

  • anregend

    • Aufwärmung
    • Aktivierung
    • Übung
    • Lernen u. a.
  • beeinträchtigend

    • Ermüdung
    • Monotonie
    • herabgesetzte Wachsamkeit
    • Sättigung Stress (z. B. begleitet von Anspannung, innerer Unruhe, Konzentrationsstörungen, gestörtem Stoffwechsel) u. a.

Kurz- und mittelfristige Folgen der Beanspruchung können auf die individuellen Voraussetzungen des Menschen zurückwirken und diese verändern. Damit gehen Veränderungen bei der psychischen Beanspruchung und den Folgen der Beanspruchung einher.

Längerfristige Folgen der Beanspruchung

  • Förderung der Gesundheit

    • Kompetenzentwicklung
    • Wohlbefinden
    • Erhalt und Förderung der Gesundheit u. a.
  • Schädigungen der Gesundheit

    • Herz-Kreislauf-Erkrankungen
    • Muskel-Skelett-Erkrankungen
    • Stoffwechselerkrankungen
    • Depression
    • Burnout u. a.

Längerfristige Folgen der Beanspruchung können auf die individuellen Voraussetzungen des Menschen zurückwirken und diese verändern. Damit gehen Veränderungen bei der psychischen Beanspruchung und den Folgen der Beanspruchung einher.

Abbildung 1: Psychische Belastung, Beanspruchung und Beanspruchungsfolgen

Gefährdung durch psychische Belastung

Eine Gefährdung durch psychische Belastung bei der Arbeit liegt vor, wenn von der Möglichkeit eines Schadens für die Gesundheit der Beschäftigten auszugehen ist, ohne nähere Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit und/oder Schwere des gesundheitlichen Schadens.

Gefährdungsbeurteilung

Die Gefährdungsbeurteilung ist ein Prozess, in dem auf Grundlage einer Beurteilung der mit der Arbeit verbundenen Gefährdung erforderliche Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Beschäftigten systematisch ermittelt, umgesetzt und auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden. Zweck der Gefährdungsbeurteilung ist es, Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst geringgehalten wird (§ 4 ArbSchG).